Gewonnen! Sprichcode Jugendpreis für Sprache und Fotografie
Mariella B. (7B) erhält den Sprichcode Jugendpreis für Sprache und Fotografie. Herzlichen Glückwunsch!
Mariella überzeugt mit ihrer beeindruckenden Einreichung und wurde dafür in der Kategorie Literatur ausgezeichnet. Ihr Text beweist eindrucksvoll, wie Sprache als künstlerisches Mittel eingesetzt werden kann.
Das prämierte Werk können Sie hier nachlesen:
H Y P E
Der Hype starrt mich vom Bildschirm an, und meine Augen fokussieren sich aufs Neue. Vielleicht bin ich so intensiv an die gleißende, zweidimensionale Scheibe gebunden, weil sie die Faszination von leuchtenden Gegenständen repliziert. Vielleicht ist der aufflackernde Bildschirm das Nächste, was ich zu einem funkelnden Himmelskörper habe. In unmittelbarer Reichweite bin ich in der Lage, diesen Stern zu konservieren und komprimiert in meiner Tasche zu bewahren.
Der Hype starrt immer noch und scheint auch mich fixiert zu haben. Ich blicke um mich herum, aber es bin tatsächlich ich, die im Fokus der Buchstaben steht. Sie sind glänzend und blendend und ich halte ihre Intensität nicht aus. Also behre ich meine Zähne und verschlucke sie allesamt.
In meinem Mund toben sie und kratzen an meinem Gaumen, sie beschweren meine Zunge und wühlen sich in die Einlagerungen meiner Zähne. Das Wort ist nicht gewohnt, so abgegrenzt zu werden. Das Wort ist nicht gewohnt, auf Unwohlsein zu stoßen. Weiter krallt es sich in mein Fleisch; scheinbar mit dem Ziel, sich in mir zu verinnerlichen. Doch kann ich es das nicht machen lassen: kann mir keine Faszination und kein Begehren vorleugnen. Sie toben und toben und kratzen und fletschen die scharfen Kanten ihrer Umschwingungen, und lange halte ich ihre Bisse in meine Zunge nicht aus; fürchte mich davor, die Buchstaben würden mir meine Individualität nehmen. Bevor sie also die Kronen von meinen Zähnen stoßen, spucke ich sie wieder aus. Mund blutig und Lippen gerissen starre ich nun auf die Wortneuschöpfung vor mir:
P H Y E
Falsch,
E P H Y
Ich durchsuche mein Gedächtnis nach einem Zusammenhang, und alles, was ich finde, sind tote Gefühle zu einem toten Wort, dessen Glanz von meinem Bildschirm verflossen und dessen Reichweite in meinem Mund zugrunde gekommen ist.
Wieder und wieder lese ich den Begriff vor mir. Ein Echo von Gefühlen und von E P H Y hallt durch mein Bewusstsein und versucht kriegerisch kongruent zu werden.
E P H Y E P H Y E P H Y
G E F Ü H L G E F Ü H L G E F Ü H L
E P H Y
G E F Ü H L
G E P H Y L
Und es schwimmt von Synapse zu Synapse und greift in die Membran meines Hirns: in jeder Furche wird der mir bekannte und digital allgegenwärtige Hype ersetzt und endlich, endlich positiv konnotiert. Mich lässt los, was ich damit verbunden habe. Mich lässt los, welch Druck mein konservierter Stern, meine zweidimensionale Scheibe, in mir jahrelang aufgebaut hat. Was vorher auf meinem Bildschirm geglüht hat, ist jetzt der Leuchtpunkt meiner gedanklichen Wahrnehmung.
Die Buchstaben zischen flink wie strickende Finger:
G E P H Y L
G E P H Y L
G E P H Y L E
Ehemalige Assoziationen gehen in der Übersetzung verloren, werden verwaschen, gehen zugrunde. Neues verbindet sich unmittelbar mit der Wortneuschöpfung. Während meine Zunge und Zähne noch Reste des Buchstabenkrieges aufweisen, scheint die neue Konstellation mir einen Händedruck wie in alter Kameradschaft zu geben. Die Reinkarnation des alten Begriffs in eine zeitlose, gar transzendierende Version von sich selbst leuchtet in Übereinstimmung; leuchtet heller als der Mond, den ich aus Gedichten kenne.
Wer hätte gedacht, dass wir auf unsere alten Tage noch Freunde werden? Wer hätte gedacht, dass sich die Buchstaben in ihren einst scharfen, urteilenden Kanten plötzlich schmiegend um meine Gephyle bewegen?
Es ist ihr letzter Akt, bevor sie der Welt gehören: einen Moment ruhen sie noch sanft auf meinem Gedächtnis, dann fließen sie einzeln davon: von meinen Synapsen an die Spitze meiner Zunge: die Spitze meiner Finger; dahingetippt und losgesandt, bevor sie die Oberfläche des Bildschirms berühren, und sich irreversibel digital verankern. – Mariella B.